Scheinbar gehört es zum guten Ton unter Diätologen und Ernährungswissenschaftlern, auf Social Media alles was “publiziert” wird für toll zu empfinden. Das nicht alles toll ist, was so manche Kollegen/innen von sich geben, soll dieser Beitrag zum Thema intuitives Essen zeigen. (Der Einfachheit halber ab hier in maskuliner Form)
Eine Ernährungsberaterin vergleicht dem Drang auf die Toilette zu gehen, mit dem Hungergefühl. So nach der Aussage: Es ist ein natürliches Bedürfnis, dem man nachgehen soll. Was zwar scheinbar logisch ist, die Logik aber lückenhaft ist. Wenn jemand Übergewichtig ist, läuft meistens etwas in der Ernährung schief. Man hat ein Problem. (Das mag klein sein, oder groß).
Bei Blasenschwäche kann es eine Strategie sein, nicht gleich beim ersten Anzeichen von Harndrang auf die Toilette zu rennen, sondern sich diesem Drang zu widersetzen. Aber Achtung! Nur wenn ich ein Problem habe, sollte ich nicht auf mein “Gefühl” hören. Selbiges gilt für die Ernährung. Wenn ich anfällig auf Reize bin wie z.B. Stress oder Werbung ist es dann OK zu essen? Möglich, aber ich bin überzeugt, dass man diesem Verlangen nicht immer direkt nachgeben sollte. Warum? Dazu komme ich jetzt.
Keine Regeln, alles essen wonach der Bauch verlangt. Denn der Körper weiß schon was er braucht. Warum sind dann über 40% der Menschen auf dieser Welt übergewichtig, wenn die Lösung des Problems eigentlich einfach wäre: Höre auf deinen Bauch!?
Auf Social Media sehe ich einige Ernährungsfachkräfte, welche das intuitive Essen hervorheben. Leider machen viele den Fehler und geben zu wenig Kontext in diesen Beiträgen mit. Für wen ist diese Form der Ernährung geeignet? Hier wird wieder ein Konzept als der Heilige Gral verkauft.
Werbung, Emotionen, prägende Kindheit, physiologische Faktoren sind nur einige Beispiele, warum das Essen nach Bauchgefühl oder nach vermeintlicher Intuition oft nicht funktioniert. Es ist nicht nur das Unwissen über Lebensmittel, welches Personen übergewichtig werden lässt. Intuitives Essen und die Übung darin hat ihre Berechtigung. Ohne professionelle Anleitung wird es meiner Erfahrung nach schwierig.
Meiner Ansicht nach ist IE ein Werkzeug unter vielen, in der Werkzeugkiste von Ernährungsberatern. Leider versuchen Berater immer wieder ein komplexes Thema mit nur einem Werkzeug zu bearbeiten. Ich brauche für ein Problem, das richtige Werkzeug, vielleicht sogar verschiedene.
Auch wenn die Übersichtsarbeit von Warren et. al. viele positive Aspekte hervorhebt, so ist Abnehmen keiner davon. Lediglich 3 von 24 Studien konnten mit signifikanten Zahlen überzeugen. [1]
IE eignet sich als Hilfsmittel für die Gewichtsstabilisierung besser, als alleiniges Werkzeug zur Gewichtsreduktion.
Das Buch mit dem konträren Namen “Mindless Eating” von Brian Wansink PhD zeigt mit vielen Storys (belegt durch Studien), wie uns unsere Wahrnehmung täuscht.
Ein schönes Beispiel ist der Suppenteller ohne Boden:
Es gab in diesem Experiment zwei Gruppen. Eine Gruppe bekam einen regulären Suppenteller mit einer “normalen” Portion. Die zweite Gruppe bekam einen Suppenteller, der durch den Boden wieder automatisch nachgefüllt wurde.
Die zweite Gruppe nahm knapp 70% mehr Suppe auf! [2]
Wir lernen daraus, dass das Sättigungsgefühl während des Essens sehr trügerisch sein kann.
Wenn es nach (einigen) Experten auf Social Media geht, sind auch Regeln und Einschränkungen tabu.
Natürlich, eine erfolgreiche Ernährungsumstellung zeichnet sich durch ein positives Essgefühl aus. Ein positives Essgefühl wird auch mit Regeln erreicht.
Auch Prof. Dr. Diedrichsen (Psychologie, Ernährungspsychologie) formulierte im Buch “Ernährungsberatung – Psychologische Basiskonzepte” in einem Kapitel Beispiele mit “Regeln” zur Reizkontrolle.
Intuitives Essen, ein zu simpler Ansatz, für eines der größten Herausforderungen des Gesundheitssystems.
Intuitives Essen ist ein Teil einer ordentlichen Ernährungsumstellung. Leider wird dies in vielen Fällen nicht ordentlich kommuniziert. Schlecht formulierte und recherchierte (Online) Beiträge verleiten zum Denken: “Alles ist erlaubt”.
Spannende Impulse zu diesem Thema vermittelt uns Daniel Dobler (Prozessberater) in seinem Gastbeitrag.
[1] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28718396/
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15761167/